Die KI, das Ich und das Dazwischen: Was wir jetzt (be)denken müssen
Die KI, das Ich und das Dazwischen: Was wir jetzt (be)denken müssen
Fast eine Woche lang durfte ich nun auf einer unserer ZEIT Reisen philosophieren – mit einer Gruppe von höchst interessierten und neugierigen Menschen, die aus den unterschiedlichsten beruflichen Hintergründen zusammenkamen. Das Thema, das uns bewegte, ist vielleicht das drängendste unserer Zeit: die Künstliche Intelligenz.
Wie es so oft in solchen intensiven Diskursräumen geschieht, entwickelte sich aus der Gruppe eine echte Denkgemeinschaft. Das bloße Erleben, wie hier gemeinsam und mit wechselseitigem Respekt gedacht wird, gibt unheimlich viel Hoffnung. Es zeigt, dass wir – wenn wir uns nur die Zeit und den Raum dafür nehmen – die komplexen Herausforderungen unserer Zukunft gemeinsam reflektieren und vielleicht sogar meistern können.
Aus diesem intensiven Austausch haben sich für mich ein paar Schlüsse herauskristallisiert, die ich als Denkangebot teilen möchte.
1. Die unbedingte Notwendigkeit einer Bildungsrevolution
Es gibt aktuell meines Erachtens kein dringlicheres Thema als die Frage nach einer Revolution unseres Bildungssystems. Wir müssen Kinder – und im Grunde auch uns selbst – JETZT, unmittelbar, darauf vorbereiten, mit einer fortschreitenden Digitalisierung und der Integration von KI in allen Lebensbereichen umzugehen.
Doch hier geht es nicht primär um Anwenderkompetenz. Es geht um etwas viel Tiefergehendes. Wir müssen Räume des Reflektierens schaffen. Räume, in denen die Fragen gestellt werden, die uns als Menschsein definieren:
Zu welchem Zweck setze ich dieses Tool ein?
Was macht die Anwendung rückwirkend mit mir?
Wie fühle ich mich nach einer exzessiven Nutzung des Digitalen?
Was passiert mit mir, wenn ich Fähigkeiten – das Denken, das Schreiben, das Entscheiden – auslagere? Möchte ich auf diese Fähigkeiten verzichten, weil ich sie dann nicht mehr selbst ausbilde?
Was wir brauchen, ist ein Unterricht, der sich nicht weniger vornimmt als die Frage nach dem Menschsein. Es geht um Lebenskunst, um Selbstreflexion und um Weltwahrnehmung. Es ist die alte philosophische Frage „Wer bin ich?“, gestellt im Angesicht einer neuen Technologie.
Dieser Anspruch trifft jede:n Erwachsene:n, die:der mit KI arbeitet, in gleicher Weise. Doch wir müssen feststellen, dass es in der Betriebsamkeit unseres Alltags noch viel schwerer fällt, diese existenziellen Diskursräume überhaupt zu öffnen.
2. Die Pflicht zur phänomenologischen Auseinandersetzung
Wir alle haben die Pflicht, uns mit der KI auseinanderzusetzen. Damit ist nicht gemeint, dass wir alle zu Programmierer:innen werden müssen. Es geht darum, die Anwendungskonsequenzen phänomenologisch zu verstehen – also zu erspüren und zu beobachten, was die Technologie mit unserer Wahrnehmung, unserem Handeln und unserem Miteinander macht.
Wenn wir dieses Spüren, dieses "Körpergeflüster" im Umgang mit der KI ignorieren, können wir uns kein fundiertes Urteil bilden. Wir sind dann nicht in der Lage, die notwendigen Entscheidungen zu treffen, weder für uns persönlich noch als Gesellschaft.
Als verantwortungsbewusste Bürger:innen sind wir aufgerufen, uns diesem Verstehensprozess zu stellen, um anschließend überhaupt erst in einen demokratischen Diskurs darüber eintreten zu können.
3. Jede digitale Handlung ist ein öffentlicher Akt
Es ist dringend notwendig, dass wir ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass jede einzelne unserer digitalen Handlungen ein öffentlicher Akt ist. Jeder Like, jeder Klick, jeder Prompt, den wir einer KI eingeben, ist ein Beitrag.
Wir sind uns längst nicht bewusst, dass wir damit permanent das System trainieren. Wir definieren mit, wie Algorithmen justiert und wie KIs auf die Welt blicken. Wir sind nicht nur passive Konsument:innen, wir sind aktive Gestalter:innen dieses Systems – ob wir es wollen oder nicht. Unser digitales Verhalten hat einen enormen, kumulativen Einfluss auf die Gesamtentwicklung. Auch diese Wirksamkeit muss stärker ins Zentrum der Debatte gerückt werden.
4. Weder Utopie noch Dystopie: Der Handlungsraum im Dazwischen
Uns hilft weder eine überschwängliche, fast naive Hoffnung, die KI werde all unsere Probleme lösen, noch ist es angemessen, von einem dystopischen Zukunftsbild der totalen Vernichtung auszugehen.
Der Mensch befindet sich immer im Dazwischen. Zwischen dem Möglichen und dem Unmöglichen – genau hier liegt unser Handlungsspielraum. Hier müssen wir uns entscheiden und hier müssen wir handeln. Das Leben wird immer defizitär bleiben, es wird immer etwas zu tun geben. Aber genau das macht das Leben aus.
Wir sollten uns von den großen, lähmenden Narrativen der Utopie oder Dystopie lösen. Gehandelt werden kann immer nur Schritt für Schritt. Ganz konkret, im eigenen Umfeld und mittels der eigenen, bewussten Anwendungen.
Jede:r sollte daher für sich festlegen: Welche Rolle möchte er:sie in dieser digitalen Zukunft spielen? Wofür übernehme ich Verantwortung? Genau hier, in dieser persönlichen Entscheidung, beginnt Autonomie.