STILLE - WAS SIE IST UND WAS SIE MACHT

Was ist Stille und was macht sie mit uns? - Ein Salon…

STILLE ALS RUHE

Wenn es still wird, wird es leise, wird es ruhig. Besonders beeindruckend finde ich, wenn im Winter die Natur still wird. Der Schnee bringt die Stille mit. Die Welt beginnt zu schweigen - kann dadurch etwas Anderes zum Sprechen gebracht werden?

Die Philosophie hat sich oft mit der Stille im Sinne einer inneren Ruhe beschäftigt. 

Dabei ist das Außen vom Innen zu unterscheiden. Der Philosophie-Professor Vossenkuhl unterscheidet daher zwischen äußerer und innerer Ruhe, wobei die Unruhe durch ein Wollen kommt, das sich auf das Falsche richtet. In der Stoa wäre genau davon Abstand zu nehmen. Sie strebte nach der Ataraxia - der Gelassenheit, als einer inneren Seelenruhe. Vom Beunruhigenden sollte man sich distanzieren, ob das so leicht ist oder überhaupt wünschenswert, sei einmal dahingestellt. Seneca ging so weit, dass er sich ein Zimmer in einer lauten Gegend nahm, da schließlich Ruhe nur eine Sache der inneren Einstellung sei.

Anders im Christentum: Bei Augustinus sollte sich das ruhige Herz durch eine Beziehung zur Ewigkeit einstellen. Wünsche und Sehnsüchte sollten zu ihr in Bezug gesetzt werden - durch die Selbstrelativierung wird der Mensch ruhig. Resonanz mit der Ewigkeit - kann das vielleicht die Stille beschreiben? 

Ist aber Ruhe tatsächlich dasselbe wie Stille? Kann nicht durch die Stille gerade eine innere Unruhe entstehen? Wenn wir uns selbst begegnen, kann dies auch verunsichern oder verstören.

STILLE UND SCHWEIGEN

Stille steht auch mit dem Schweigen in Verbindung. So mancher sehnt sich nach einem Schweigekloster, um wirkliche Stille erfahren zu können. Aber auch das Schweigen ist ambivalent. Anselm Grün unterscheidet daher die Stille vom Schweigen. Stille ist vorgegeben, wohingegen Schweigen ein Tun sei. Auch wenn das Schweigen zu einer inneren Stille führen kann, muss dem nicht unbedingt der Fall sein. Schweigen kann nämlich auch ein Akt der Machtausübung sein. Bewusstes Schweigen errichtet eine Hierarchie. Mit Schweigen können wir Menschen bestrafen. 

Auch das Sprichwort "Reden ist silber, schweigen ist gold." ist in dieser Hinsicht zu lesen. Dahinter versteckt sich eine bewusste Strategie.

"Sei still" - ein Imperativ zum Zwecke der Disziplinierung. Früher sollten Frauen zum Beispiel in Gesellschaft schweigen. Rosa Parks Autobiografie spricht Bände, wenn sie diese mit "Quiet Strength" betitelte - stille Strenge. Sie schwieg zu einem großen Teil, als sie im Bus aufgefordert wurde, ihren Platz einem Weißen zu überlassen - ein Wort sprach sie jedoch: No! Mehr nicht.

Schweigen muss aber nicht unbedingt ein Akt der Bestrafung sein, es kann auch ein Ausdruck der Zurücknahme sein. Ludwig Wittgenstein hat bekanntlich gesagt: "Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen." Das Schweigen dient hier als Ausdruck der Bescheidenheit. 

Schweigen und Stille stehen also in einem Verhältnis, aber einem ambivalenten. Kommen wir zum Kern der Stille.

STILLE ALS EREIGNIS

Bei Marc Aurel bringt die stille Einkehr in die Seele eine Erneuerung des Selbst mit sich. Es geschieht etwas in und durch die Stille.

Die größten Ereignisse, das sind nicht unsere lautesten, sondern unsere stillsten Stunden, meinte Friedrich Nietzsche. "Still liegen und wenig denken" bezeichnete er sogar als Arzneimittel für die Seele. Sie kann also heilsam sein.

Stille heißt in diesem Sinne: ein Aussetzen des Bekannten, sowie Bewegung und Möglichkeit. Stille entführt uns meines Erachtens in einen ewigen Augenblick. Sie ist nämlich zeitlos. Wir können uns dann selbst transzendieren. "Stille offenbart uns das Geheimnis der anwesenden Abwesenheit." In ihr lässt sich das Nicht-Sein erfahren. Sie dient dann einer Erkenntnis des Unaussprechlichen, die jenseits des klassischen Wissensbegriffs liegt. 

Anselm Grün bezeichnet die Stille im "Hymnus der Stille" als "Urgrund des Seins" oder "Urklang, aus dem alles Leben hervorgeht". Wenn dem so ist, dann gelingt es uns vielleicht, uns in der Stille selbst zu transzendieren, auf etwas Größeres oder Ganzes hin?

STILLE KANN AUCH EINSAMKEIT BEDEUTEN

Der Lockdown hat mehr Stille gebracht, dadurch aber auch mehr Einsamkeit oder ein Nicht-gehört werden. Stille hat also nicht nur EIN Prädikat, sondern mehrere und ist von Kontext und Situation abhängig.

Wenn meine Kinder die Wohnung ihrer Großmutter verlassen, wird die Stille in ihren Räumen so unerträglich, dass sie diese für eine Zeit verlassen muss - um den Übergang in die Normalität der Stille wieder ertragen zu können. Es gibt also ein zu viel von Stille. Anderen fehlt sie so sehr, dass sie sich nach nichts mehr sehnen als nach ihr.

STILLE / STILL HALTEN UND STILLSTAND

Still halten bedeutet unbewegt sein. Stillstand ist für viele schwer zu ertragen. Freiheit lebt von Bewegung und Möglichkeit, Stillstand ist Verharren im immer Gleichen. Dementsprechend bedeutet absolute Stille nichts anderes als der Tod. Wenn alles still steht, passiert nichts mehr. Es wird nichts geboren und es wird nichts gewandelt.

Wir sehen: es gibt viele Arten der Stille die unterschieden werden müssen: die ereignisreiche Stille, die erkennende Stille, die transzendierende Stille, aber auch die einsame Stille und die tödliche Stille.

UND WAS IM SALON GESCHAH....

Es war ein äußerst intensives und produktives Gespräch, das wir führten. Viele Aspekte der Stille kamen auf. Wobei es wie immer leichter viel, die Bedingungen zu beschreiben, die für Stille notwendig sind, als das, was mit uns geschieht, wenn es still wird. Am Ende konnten wir aber auch dies noch einfangen.

Für viele stellte die Stille eine Unterbrechung des Alltags dar. In der Stille ist also das Gewohnte abwesend. Besonders der sinnfreie Lärmpegel machte einem der Teilnehmenden zu schaffen. Durch die Stille fehlt es aber nicht nur an Lärm, auch Forderungen können dadurch auf Pause geschalten werden - sie sind ebenso abwesend. 

Andere verbanden mit der Stille die Wahlfreiheit, weil man erst dann ganz zu sich käme und frei wäre von anderen Einflüssen. Absolute Stille aber schien uns unmöglich, denn dann würde nicht nur etwas, sondern alles fehlen und das käme dem Tod gleich. Vielleicht mögen deshalb manche auch die Stille nicht und können besser schlafen, wenn sie etwas hören? Bei Kindern ist dies oft der Fall: die Geräusche in der Küche oder im Wohnzimmer vermitteln Geborgenheit - nicht allein sein zu müssen.

Im "Stillen des Babys" kommt zum Ausdruck, dass diese Handlung Ruhe ins Geschehen bringt und eine Verbindung herstellt - es fühlt sich aufgehoben. 

Die Stille ist aber an sich nicht gut oder böse, sie kann unterschiedliche Qualitäten haben. Sie kann kraftspendend sein, aber auch bedrückend. Man denke nur an den Lockdown und die damit einhergehende Einsamkeit.

WAS KANN NUN ALLES GESCHEHEN?

Für manche stirbt durch die Stille das Ego. Wir sind in der Lage existenziell wahrzunehmen. Wenn wir uns dort begegnen, dann aufgehoben in ein größeres Ganzes. Rollen und Masken werden fallengelassen. Die persönliche Durchlässigkeit kann dafür sorgen, dass wir eine Erfahrung des Heiligen machen - wie es ein Teilnehmer ausgedrückt hatte.

Die Stille lebt aber nicht nur vom Loslassen, das in ihr beinhaltete Loslassen kann auf der anderen Seite einen Prozess der Kreativität auslösen. Jetzt ist wieder Platz für die eigene Schöpfung. Sie ist also gleichzeitig SelbstAUFLÖSUNG, SelbstERFAHRUNG und SelbstSCHÖPFUNG.

Allerdings müssen wir Stille auch üben, sie ist ähnlich unverfügbar wie Hartmut Rosas "Resonanz".

Zum Schluss habe ich wie immer die Anfangsworte "Stille ist..." in den Raum gegeben:

  • Wahlfreiheit

  • Erneuerung

  • Stillstand

  • zur Ruhe kommen

  • Unterbrechung

  • Verwandlung

  • Energie schöpfen

  • Harmonie

  • fordernd

  • selbstbestimmter positiver Zustand

  • existenzielles Sein

  • Freiheit

  • bei mir sein - ohne Ablenkung

  • schön

  • ambivalent

  • Einsamkeit

Ich freue mich sehr auf den Salon Klarheit!

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