(SOZIALE) MEDIEN IN DER KRISE? FUNKTION UND KRITIK

Befindet sich die Medienberichterstattung in der Krise?

Wir stellten uns diese Frage im letzten Salon und  die Diskussion war spannend!

(Die folgenden Überlegungen beziehen sich oft auf  die Lektüre der Hohen Luft, Ausgabe 4/2021. Ein wirklich gelungenes Heft - unbedingt eine Empfehlung!)

Zunächst zur Ausgangslage: Die Welt wird immer komplexer und die Medienlandschaft bleibt davon nicht verschont. Unter anderem bedingt durch die Digitalisierung wird der Informationshorizont zunehmend unübersichtlicher.

„The Media are the mess!“, statt „Das Medium ist die Message“ wie es noch Marshall McLuhan  ausgedrückt hat, schreib Thomas Vašek zum Beispiel in der Hohen Luft.

Wozu dienen Medien und was ist der Zusammenhang mit Demokratie?

Medien dienen zur Orientierung und dazu, sich einen Überblick über das Weltgeschehen zu verschaffen. Natürlich stellt es immer schon eine Fiktion dar, dass sie die Realität abbilden würden. Es geht nicht nur um Information und Abbildungen, sondern immer schon auch um Aufmerksamkeit, Unterhaltung, Emotionen, Interpretationen. Damit  haben Medien nie  nur abgebildet, sondern immer schon  Wirklichkeit hergestellt.

Nicht umsonst werden die Medien als vierte Gewalt im Staat bezeichnet. Niklas Luhmann hat gesagt: „Alles, was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.“

Medien sollen zudem repräsentieren: die Wirklichkeit und damit auch die Menschen, die sich darin befinden. Ob ihnen das gelingt, ist zu hinterfragen.  Auch der Verein neue deutsche Medienmacher*innen hat jüngst ei Buch herausgegeben und sich mit der Forderung nach einem diversity-Code an die Öffentlichkeit gewandt. Sie gehen davon aus, dass deutsche Medienhäuser viel zu homogen strukturiert seien, um repräsentativ sein zu können. Sie verlangen daher Quoten für Journalist*innen mit Migrationshintergrund, people of color, aus der queer community etc. Wenn Medien der Repräsentation der Bevölkerung dienen sollen, dann müsste die gesellschaftliche Wirklichkeit auch in deren Strukturen abgebildet werden.

Auch der Soziologe Michael Hartmann kritisiert den Medienbetrieb als viel zu elitär. Schon die Journalist*innenschulen richteten sich ans klassische Bildungsbürgertum. Man kann also hier einen strukturell-inhärenten Rassismus ausmachen.

Dies wirft aber auch die Frage auf: Soll alles und jeder überhaupt medial repräsentiert werden? Wie sieht es dann mit Rassismus, Nationalismus etc. aus? Muss auch die AfD repräsentiert werden?

Viel mehr als Repräsentation

McLuhan (der kanadische Medientheoretiker) sah in den Medien eine Erweiterung der menschlichen Fähigkeiten, er nannte sie deshalb auch "Prothesen". „Das Medium ist die Message“: die Struktur des Mediums bringt den Inhalt in Form und spielt die eigentliche Rolle. Der Inhalt wird der Form entsprechend passend gemacht (vgl. Twitter). Mit ihnen lernen wir aber auch einen bestimmten Zugang zur Welt, damit gestalten die Medien unsere Wahrnehmung. Die Art und Weise wie wir sprechen, kopieren wir vom Medium selbst. Mit jeder Prothese geht für McLuhan nun auch eine Amputation einher, denn durch die mediale Aneignung geht ein anderer Zugang zur Welt verloren. Gerade in Bezug auf das Smartphone trifft dies besonders zu. McLuhan hat dies zunächst nur soziologisch festgestellt. Wir müssen uns als Betroffene aber fragen: Was gewinnen, was verlieren wir?

Die Rolle der sozialen Medien

In sozialen Medien geht es natürlich um weit mehr als die Reproduktion der Wirklichkeit oder die Interpretation. Es geht vor allem um die Darstellung des Selbst. Es geht um die Veröffentlichung des Privaten. Hannah Arendt hat in ihrem gesamten Werk darauf bestanden, dass wir nur in der Öffentlichkeit wirklich frei sind. Denn dort gestalten wir gemeinsam Politik und Gesellschaft. Hier können wir wirklich entscheiden, gemeinschaftlich, was von Belang ist. Wenn wir also dazu tendieren, alles Private öffentlich zu machen, dann handelt es sich hier um falsche Inhalte. Die Trennung zwischen privat und öffentlich schwindet, damit aber auch das, was gesellschaftlich und politisch relevant sein könnte. Lässt sich mit Postings von drapierten Speisen Politik machen? Who cares? Und ersetzt dieser Posting Aktionismus unser Bedürfnis uns gesellschaftlich zu engagieren? Als einer Art pseudo-politischer Ersatzbefriedigung? Hier ließen sich zahlreiche Fragen anschließen.

Soziale Medien werden als Selbsterweiterung genutzt. Die Frage lässt sich nun stellen, welche Bedeutung hat diese Funktion der Selbsterweiterung für eine demokratische Öffentlichkeit? Trägt dies etwas essenzielles zum Bürger*innensein bei?

In sozialen Medien geht es vor allem um Personalisierung: um das Ich und das Du. Seltener um ein Wir. Sachfragen und Inhalte sind sekundär. Es geht primär Selbstdarstellung und Performanz. Dabei erhöht das enorm den Druck auf die ständige Selbstproduktion, denn potentiell wird man immer wahrgenommen. Es wird sogar der Druck erzeugt, dass man sich zu Wort melden muss, um existent zu sein. Die Autorin Rebecca Reinhard bezeichnet dies als: „Resonanz schlägt Substanz“, d.h. es geht nicht um das Hinterfragen, das Prüfen und das Einordnen von Inhalten, sondern um das Herstellen einer persönlichen Beziehung zu den Followern. Wer Einzelunternehmer*in ist, kann ein Lied davon singen.

Bei Cicero hieß es noch: “Das passende Wort ist das sicherste Zeichen für das richtige Denken.“ Heute gilt mehr denn je der Satz des tschechischen Kulturphilosophen Vilem Flussers: „Die menschliche Kommunikation geschieht in der Absicht, die Sinnlosigkeit und Einsamkeit eines Lebens zum Tod zu vergessen und damit das Leben lebbar zu machen.“

Das Leben scheint sich durch die ständige Selbstproduktion zu verlängern. Dazu gehört auch das so genannte Virtue Signalling: d.h. man versucht sich in den sozialen Medien als besonders tugendhaft darzustellen. Man soll möglichst authentisch, ethisch korrekt und persönlich in Erscheinung treten. Schon in den siebziger Jahren hat Richard Sennett dazu ein Buch geschrieben: „Verfall und Ende des öffentlichen Lebens: die Tyrannei der Intimität.“ Dies gilt heute in verstärktem Maße. Er hatte damals schon den Verfall und das Ende des öffentlichen Lebens prognostiziert, weil das Private über die res publica obsiegt. Es geht hauptsächlich um Befindlichkeiten, Klatsch und Tratsch.

Democracy Check

Eine Zeit lang hatte man sich noch erwartet, dass es durch die Digitalisierung auch zu einer Demokratisierung der Information kommen würde. Man nannte das auch liquid democracy. Mehr Transparenz, niederschwelliger Zugang, mehr Partizipation. Wirklich erfüllt hat sich diese Hoffnung nicht, wie wir wissen. Es kam zu Blasen und Echokammern, nicht zu mehr politischer Öffentlichkeit im demokratiepolitischen Sinne.

Nicht zuletzt hat das auch damit zu tun, dass es den Monopolisten, die hinter den Social Media Kanälen stehen, vor allem auf Einnahmen durch Werbung, Abonnements und Klickraten ankommt. Mittlerweile wissen wir sogar, welchen Einfluss soziale Medien auf das Wahlverhalten haben können, auch im Sinne der Wahlmanipulation.

Auch der Journalismus hat sich mit den sozialen Medien verändert. Armin Turnher, Chefredakteur des Falters, berichtet: Es gehe nun nicht mehr um einen redaktionellen Journalismus, viel mehr stehe der/die Publizierende selbst im Vordergrund. Was verloren gehe, sei die Selbstkontrolle des Mediums, interne Diskussionsprozesse, das Abwägen, bevor publiziert wird, so Turnher.

Medien in Krisenzeiten

In Krisenzeiten scheinen Medien eine besonders wichtige Rolle in Hinblick auf Informationen zu spielen. Wir möchten alle über die aktuelle Entwicklung der Pandemie informiert werden. Vaček von der Hohen Luft urteilt, dass Medien in der Pandemie Zeit von der schieren Faktizität überwältigt worden wären. Nachdem sie dazu da seien, das Geschehen zu interpretieren, hätten sie nun ihre Deutungsfunktion verloren, da sie nur über Fakten berichten konnten. Virolog*innen prägten das Medienbild. So würden die klassischen Medien nicht durch Lügen und Verschwörungstheorien in Frage gestellt werden, sondern durch die Realität selbst. So die These.

Schon alleine über diese Wahrnehmung könnte man streiten, verschiedene österreichische Medien und Sender haben durchaus unterschiedliche Interpretationen virologischer Fakten zugelassen und sogar forciert (Bsp. Corona Quartett).

Es ist aber sicherlich richtig, dass von manchen Medien zu sehr auf Zahlen gesetzt wurde. In der Bevölkerung hat sich eine gewisse Zahlen-Müdigkeit breit gemacht. Es fragt sich auch, ob nicht andere psychologische, soziologische, philosophische Perspektiven auf die Pandemie stärker diskutiert werden hätten sollen.

Interessant ist in dieser Hinsicht eine Studie die in den neunziger Jahren gemacht wurde, die zu Tage befördert hat, dass gerade jene, die über wenig Wissen verfügen, besonders selbstbewusst auftreten. Je weniger Wissen man habe, desto mehr Selbstvertrauen, so die Studie. Jene hingegen, die mehr wissen, unterschätzen sich. Damit lässt sich auch erklären, warum sich manche so hartnäckig und selbstbewusst in ihren Echokammern wohlfühlen.

Gäbe es vielleicht ein Instrumentarium, mittels dessen sich die Medienproduktion prüfen ließe? Manche kennen vielleicht "die drei Siebe" des Sokrates. Sie werden Sokrates fälschlicherweise zugeschrieben und kommen so in keinem Platon Text vor. Aber die Geschichte und die dazugehörigen Fragen sind gut:

Die drei Siebe

Eines Tages kam ein Bekannter zum griechischen Philosophen Sokrates gelaufen.“Höre, Sokrates, ich muss dir berichten, wie dein Freund….”“Halt ein” unterbrach ihn der Philosoph.“Hast du das, was du mir sagen willst, durch drei Siebe gesiebt?”

“Drei Siebe? Welche?” fragte der andere verwundert.“Ja! Drei Siebe! Das erste ist das Sieb der Wahrheit. Hast du das, was du mir berichten willst, geprüft ob es auch wahr ist?”“Nein, ich hörte es erzählen, und…”

“Nun, so hast du sicher mit dem zweiten Sieb, dem Sieb der Güte, geprüft. Ist das, was du mir erzählen willst – wenn es schon nicht wahr ist – wenigstens gut?”Der andere zögerte. “Nein, das ist es eigentlich nicht. Im Gegenteil…..”

“Nun”, unterbrach ihn Sokrates. “so wollen wir noch das dritte Sieb nehmen und uns fragen ob es notwendig ist, mir das zu erzählen, was dich so zu erregen scheint.”“Notwendig gerade nicht….”

“Also”, lächelte der Weise, “wenn das, was du mir eben sagen wolltest, weder wahr noch gut noch notwendig ist, so lass es begraben sein und belaste weder dich noch mich damit.”

Quelle unbekannt

Sollten sich Medien heute vielleicht diese Fragen stellen und sich selbst damit prüfen?

1. WAHRHEIT

- Faktizität?

- Kritik?

- Hintergründe zu Politik/Gesellschaft?

- Abbilden von Vielfalt/Pluralität?

- etc.

2. GÜTE

- Was bewirkt die Nachricht? Wem dient es?

- Entwicklung?

- Produktivität?

- Die demokratiepolitische Funktion? Was sollen/müssen/können sie leisten?

3. NOTWENDIGKEIT

- Dient es einem Informationsgehalt?

- einer Warnung vor Gefahren etc?

- Soll ein solidarisches Verhalten bewirkt werden?

- Worin liegt das Notwendige? Von der Katastrophenberichterstattung bis zur AfD?

- etc.

Mehr kritische Reflexion und Prüfung ist ohnehin gefragt. Wenn wir dies von uns selbst und auf unser Selbst bezogen verlangen, warum dann nicht auch von der Medienlandschaft oder einem journalistischen Ethos? Und der Rest, gehört so oder so in den Müll.

Bis zum nächsten Salon!

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